Donnerstag, 29. Oktober 2020, 19:00 Uhr
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Patsy l’Amour laLove: Befremdliche Bündnisse

– Queer zwischen Identitätskritik und identitärem Aktivismus

Während viele politisch Aktive „Queer“ als Kampfbegriff nicht aufgeben wollen, suchen sich andere queere Aktivist_innen, vor deren Wirken „Queer“ in Sicherheit gebracht werden soll, die Zusammenarbeit mit autoritären, teils gewaltbereiten antisemitischen Gruppierungen. So scheuen sich mancherorts Queer-Initiativen auch nicht vor „Allianzen“ mit islamistischen Gruppierungen, während ihr identitätspolitischer Aktionismus (konsequenterweise) die soziale Realität von Flüchtlingen, sofern sie nicht zur eigenen Ideologie passt, nicht weiter beachtet.

Im Vortrag werden einige Beispiele befremdlicher Bündnisse im Feld queerer Politik hervorgehoben und in deren Zusammenspiel mit einer spezifischen Form von Identitätspolitik dargestellt. Wie passt eine Kritik der Heteronormativität, mit der Queer einst angetreten ist, zu antizionistischen Anti-Pinkwashing-Kampagnen und pseudolinken Bündnissen, die sich – vermeintlich kultursensibel – gegen das Anprangern von homosexuellenfeindlicher Gewalt stellen? Wieso kann in Berlin kein alternativer CSD stattfinden, ohne dass dieser entweder antisemitische Aktivist_innen einlädt – oder diese der Demo von vornherein in die Parade fahren? Weshalb kreischen Anti-Pinkwashing-Proteste, sodass keine Gespräche möglich sind?

Diese Frage im Mittelpunkt wird auch das merkwürdige queere Verhältnis zu anderen Kulturen befragt: die Ablehnung jeder „kulturellen Aneignung“ und Exotisierung auf der einen Seite trifft hier regelmäßig auf eine folkloristische Faszination für das Fremde, das man sich irgendwie naturverbunden, ursprünglich, authentisch und/oder spirituell vorstellt.

Orientiert an Benedikt Wolfs erster wissenschaftlicher Darstellung der Entwicklung der Queer Theory seit den 1980er Jahren, lässt sich festhalten, dass sich das, was Queer an politischem und theoretischem Potential einst zum Teil vorweisen konnte, größtenteils eingebüßt hat. Jenseits von Queer als modischem Polit-Wort, dem man sich zugehörig und damit „radikal“ fühlen kann, sobald man die richtigen Vokabeln kennt (ohne darüber nachdenken zu müssen), wird im Vortrag auf die Kritik an identitärem Aktivismus ebenso eingegangen wie auf eine queere Identitätskritik und die Möglichkeit einer kritischen Identitätspolitik. Inwiefern Queer gerettet werden sollte oder überhaupt kann, soll ebenso diskutiert werden, wie aktuelle sexualpolitische Herausforderungen.

Dr. Patsy l’Amour laLove, Polittunte und Geschlechterforscherin aus Berlin, promovierte zur westdeutschen Schwulenbewegung der 1970er Jahre mit ihrem Buch „Schwule Emanzipation und ihre Konflikte“ (2019), Herausgeberin sexualpolitischer Bände wie „Selbsthass & Emanzipation“ (2016), „Beißreflexe“ (2017) und „Psychoanalyse und männliche Homosexualität“ (2019). Kuratorin der Ausstellung „Faszination Sex“ über den Sexualwissenschaftler Martin Dannecker und Organisatorin kultureller Events. www.patsy-love.de

Weitere Informationen zur Teilnahme am Online-Format folgen.